Was darf Werbung? Zum Beispiel die deutsche Rechtschreibung verbiegen, mit bekannten Slogans wie „Da werden Sie geholfen“ für die Auskunft 11880 oder „Deutschlands meiste Kreditkarte“ für Eurocard. Mit Wort-Neuschöpfungen wie „unkaputtbar“ von Coca-Cola wurde besonders radikal ausgetestet, was jenseits des Duden möglich ist.
Heute, 30 Jahre später, stellt sich eine andere Frage: Was muss Werbung? Denn die breite Diskussion um das Gendersternchen (oder wahlweise Doppelpunkt) zum Ausdruck einer größeren Geschlechter-Diversität in der Alltagssprache ist auch in der Werbesprache in den Fokus geraten. Vor allem in Zeiten, in denen Marken immer stärker Haltung zu gesellschaftlichen Fragen beziehen. Sternchen-Befürworter sind sich einig, dass Werbetreibende in ihrer Werbesprache Diversität widerspiegeln müssen. Die Traditionalisten dagegen sprechen von verbotenem Eingriff in die Sprachästhetik und dadurch Verhinderung des Markenerfolgs.
Letztere werden durch diverse Studien unterstützt: Eine Umfrage von Infratest in der „Welt“ besagt, dass nur 10 % der Bevölkerung den Einsatz der genderneutralen Sprache in Medien voll und ganz befürworten. 36 % lehnen es voll und ganz ab. Die Mehrheit mit 54 % liegt somit ganz klar bei den Skeptikern, die es für weniger oder gar nicht wichtig halten. Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen zudem, dass genderneutrale Werbebotschaften bei flüchtigem Konsum leicht mit weiblichen Formulierungen verwechselt werden, was männliche Kunden unabsichtlich verschrecken könnte.
Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn in den sozialen Medien funktionieren gendergerechte Anzeigen zum Beispiel im Facebook-Feed deutlich besser als Anzeigen mit dem generischen Maskulin. Kurioserweise klickten Männer die Anzeigen häufiger als Frauen. Dies ist sicherlich nicht repräsentativ, aber es kann zumindest als Indiz gewertet werden, dass sich gendergerechte Sprache und Werbeerfolg nicht widersprechen müssen.
Wie also vorgehen? Die korrekte Corporate Language hängt von vielen Faktoren ab: Markenhistorie, Positionierung, Zielsetzungen oder Zielgruppe. Ganz speziell in der jungen Bevölkerung ist eine genderneutrale Sprache sehr viel stärker akzeptiert und eingesetzt. Es ist schwer realisierbar für eine Marke, ihre unterschieidlichen Zielgruppen in der jeweils präferierten Sprachvariante anzusprechen, ohne das Markenbild zu verwässern. Umgekehrt steigt das Risiko für die Marke, arrogant und abgehoben zu wirken, wenn sie die Erwartungen relevanter Zielgruppen nicht erfüllt. Dieses Dilemma erklärt, warum sich die Gendersprache in der klassische Markenwerbung noch in Grenzen hält. Die einzige Marke, die das Thema aktuell mit Bravour gelöst hat, ist das Dating-Portal OK Cupid. Hier wurde das Sternchen durch ein Herzchen als Gender-Marker ersetzt und demonstriert damit die Offenheit für Menschen aller Geschlechter ebenso, wie es die eigene Mission des Zusammenbringens von Menschen vermittelt.
Wir sind in der Werbung also gut beraten, eine gendergerechte Kommunikation als kreative Herausforderung für TexterInnen und DesignerInnen zu betrachten. Gesucht werden neue, elegante Ideen für eine gendergerechte Sprache. Denn diese gesellschaftliche Entwicklung wird bleiben und ist ernst zu nehmen. Und das ist gut so.